„Bist du zufrieden?“ war wohl die mir am häufigsten gestellte Frage bei der Finisher-Zeremonie des Austria eXtreme Triathlon. „Nein, zufrieden bin ich nicht mit meinem gestrigen Rennen, aber ich bin sehr glücklich damit“.
Diese etwas kontrovers klingende Aussage trifft meine Gefühlslage am besten. Mein emotionaler Tränenausbruch im Ziel, die Mischung aus Müdigkeit, Glück, Stolz, Enttäuschung und aber vor allem Dankbarkeit steckt mir noch mehr in den Knochen als die 14 Stunden und 30 Minuten lang dauernde körperliche Hochleistung.
14 Stunden und 30 Minuten waren mindestens zwei Stunden länger als das auf meinem persönlichen Plan stand und auch das insgeheim von mir erhoffte Podium war mit dem 9. Gesamtrang letztlich meilenweit entfernt. Ich hatte während des Bewerbs bereits 10 Stunden Zeit, mich damit auseinander zu setzen, dass der Austria eXtreme wohl für mich nicht mein sportlich größter Erfolg werden wird. Je länger der Bewerb dauerte, desto einfacher war das für mich zu akzeptieren.
DAS. IST. SPORT.
Mehr gibt es dazu eigentlich nicht zu sagen, denn diese drei Worte beschreiben in Kürze alles, was an möglichen Ursachen oder Ausreden parat stehen könnte. Selbst wenn ich welche gefunden hätte, würde es nichts mehr ändern. Ich möchte euch ab jetzt auf eine Reise durch meine Gefühlswelt und meinen Wettkampftag mitnehmen.
Die Ausgangsposition konnte besser nicht sein. Ich war bereit. Nach meinem starken Auftritt im Jahr 2019 habe ich an allen Stellschrauben gedreht, um noch besser in Form bei meinem Hauptwettkampf zu sein. Auch wenn der Austria eXtreme Triathlon eigentlich nicht von Beginn an mein Ziel war, sondern der Double Ultra in Bad Blumau, war die Vorfreude auf die Veranstaltung unendlich groß.
Ein toller und trainingsreicher Winter, ein großartiges Team aus Trainern und Leistungsdiagnostikern, die Crew von Allergosan rund um Simone Kumhofer und nicht zuletzt die erstmalige Zusammenarbeit mit unserem Mentaltrainer Wolfgang Seidl haben mich optimal auf den Bewerb hin vorbereitet.
Die Ergebnisse im Training und den Wettkämpfen im Vorfeld waren großartig, mein Gewicht 5-6 Kilogramm unter jenem, das ich vor zwei Jahren hatte. Das gepaart mit der Erfahrung aus meinem letzten Antreten lieferte die perfekten Grundvoraussetzungen für ein besseres Ergebnis.
Mental war ich locker – mit dem zweimaligen Sieger Michael Strasser musste man den Favoriten nicht suchen. Ich war mir zwar sicher, ihn an einem perfekten Tag fordern und auch schlagen zu können, habe aber meinen Fokus immer auf mich und meine Leistung gelegt.
Der Vortag des Rennens war für mich sehr entspannt – Race Briefing, Abholung der Startunterlagen und letzte organisatorische Dinge. Ich schlief kurz, aber sehr gut und wachte am Samstag um 1:30 Früh frisch und munter auf. Ich hatte mich selten so locker und motiviert gefühlt, ich war mir sicher, dass heute der perfekte Tag sein würde.
Als um 4:30 der Startschuss fiel, begann das Rennen schon nicht so ganz in meinem Sinne zu laufen. Ich schwamm zu langsam und zögerlich los und die Schlägerei war sehr unangenehm. Bei der ersten Boje bekam ich von meinem Vordermann noch einen unabsichtlichen Tritt in meine Kronjuwelen, was mir erst eimmal für ein paar Sekunden die Luft raubte. Ich versuchte einen guten Rhythmus zu schwimmen und konnte mich etwas nach vorne arbeiten. Der Rückweg gegen die Strömung war geprägt von Hektik – eine große Gruppe hatte sich formiert und die Kombination aus Faustschlägen und herein stehenden Ästen behagte mir so gar nicht.
Am Ende verließ ich die Mur an ungefähr 15. Stelle rund 8 Minuten langsamer als vor zwei Jahren. Ich hatte damit gerechnet, beim Schwimmen Zeit einzubüßen, schließlich konnte ich, wie so viele andere auch, im Winter kein Schwimmtraining absolvieren. Doch es störte mich nicht, denn ich wusste, dass der Bewerb hier nicht entschieden wird. Ich wechselte schnell und machte mich auf die Radstrecke. Ich hatte von Beginn weg großartige Beine und fuhr gemeinsam mit Bernd Pöllabauer in fairem Abstand die ersten Kilometer. Nach etwa 10 Kilometern kam Strasser von hinten angebraust und war „auf Krawall gebürstet“. Sehr offensiv attackierte er vorbei und das wollte ich mir nicht entgehen lassen.
Ich folgte ihm über die ersten beiden kleinen Anstiege, die aber nicht mehr als ein Vorgeplänkel waren. Letztlich kristallisierte sich eine dreiköpfige Spitzengruppe mit mir, Strasser und dem späteren Sieger Horst Langmaier heraus. Wir fuhren ein gutes Tempo durch den Teigitschgraben, alles war soweit in Ordnung. Einzig Strasser wirkte auf mich etwas hektisch und unruhig – es war ihm wohl nicht so Recht, dass er sich nicht absetzen konnte. Ich ließ mich nicht aus der Ruhe bringen, meine Watt stimmten und ich war in Schlagdistanz – besser konnte die Ausgangslage kaum sein.
In Köflach nützte Strasser dann die Gunst der Stunde und attackierte bei der Ampel, wo er sich nicht ganz risikolos vor dem entgegen kommenden Verkehr über die Straße quetschte. Langmaier und ich warteten den Verkehr ab und fuhren erst dann auf die Straße Richtung Gaberl. Das Loch, das entstanden war, wollte und konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht zufahren. Bei meiner Besichtigung 10 Tage zuvor war ich das Gaberl sehr flott gefahren und hatte am Sölkpass dann etwas schwerere Beine. Dieses Jahr wollte ich eine andere Taktik wählen. Das Gaberl kräfteschonend fahren und auf meine neu entdeckte Laufstärke vertrauen. So fuhr ich das Gaberl in meinem Tempo kontrolliert hoch und war mir sicher, dass zumindest einer der beiden dieses hohe Tempo bereuen würde. Als ich, mittlerweile hinter Pöllabauer zurück gefallen, auf Platz 4 am Gaberl angekommen war, hatte ich immer noch eine ähnliche Zwischenzeit wie vor zwei Jahren, als ich komfortabel in Führung lag. Also alles noch im grünen Bereich.
Die Abfahrt lief gut und ohne Zwischenfälle. Die zweite Hälfte des Radbewerbes konnte beginnen. Doch plötzlich bemerkte ich, dass nichts mehr ging – und damit meinte ich wirklich nichts. Meine Beine waren zu und ich brachte keinen Druck mehr auf das Pedal. Es fühlte sich an, als würde eine Schraubzwinge meine Oberschenkel zusammen drücken.
Energetisch fühlte ich mich gut, ich war ernährungstechnisch perfekt versorgt, war motiviert, aber es ging NICHTS. Ich fuhr mit 30 Kilometern pro Stunde dahin und verlor einen weiteren Platz. Als jemand, der seinen Körper wirklich sehr gut kennt, wusste ich, dass das kein vorübergehendes Problem war, sondern dass hier etwas grundsätzliches falsch läuft. Vielleicht war ich zu radikal in meiner Sitzposition gewesen, hatte der Aerodynamik zu viel Bedeutung zugemessen? Ich wusste, ich konnte die enge Position fahren, aber 1000 Prozent wohl gefühlt habe ich mich damit nie. Damit nehme ich euch schon mit auf meine Gedankenspiele, die ich während dieser Phase hatte. Ich würde jetzt gerne sagen, dass ich es selbst war, der sich aus dieser negativen Situation heraus gezogen hat, doch dann würde ich mich mit fremden Federn schmücken. Ich signalisierte meinen Betreuern im Auto sogar, dass ich aufhören würde, weil es sinnlos sei. Vor allem Philipp, meinem Trainer ist es zu verdanken, dass ich weiter gemacht habe. Ich glaube zwar nicht, dass ich wirklich ausgestiegen wäre, doch mein Mindset war durch und durch negativ. Ich hatte null Spaß daran, weiter zu fahren, was auch daran lag, dass ich diesen Streckenabschnitt von Zeltweg bis ins Lachtal mit seiner leichten Steigung wirklich nicht mochte.
Ich fuhr meinen 150 Watt-Trott dahin (mehr ging nicht) und schüttelte gefühlt im Sekundentakt ungläubig den Kopf. Eine kurze Pinkelpause musste auch sein – ich war nicht mehr im Rennmodus und mein Glaube an ein Comeback an diesem Tag war verschwunden. Im Anstieg nach Lachtal verlor ich Position um Position und konnte nichts dagegen tun.
Dass mich kurz vor dem Ende des Anstiegs mein Mitstreiter Georg Michl überholt hat, war für mich die wohl prägendste Szene des Tages. Georg ist, für alle, die ihn nicht kennen, Sportjournalist bei der Kleinen Zeitung und ein Radsport-Verrückter. Als IRONMAN-Finisher hat er schon gezeigt, dass er auch Triathlon kann, aber in den letzten Jahren hatte er sich eher dem Radfahren gewidmet. Georg ist ein Bär mit mehr als 2 Metern Körpergröße und einem Gewicht von mehr als 100 Kilogramm.
Man kann sich vorstellen, was es normalerweise für ein Gefühl ist, von jemandem bergauf überholt zu werden, der etwa 45 Kilogramm mehr wiegt als man selbst. Da Georg normalerweise auch nicht um einen markanten Spruch verlegen ist, hab ich mich schon auf eben einen solchen eingestellt. Was dann aber folgte, war für mich der Beweis, wie großartig und verbindend Sport sein kann. Auf einfühlsame Art und Weise hat er mich gefragt, was los wäre und mit mir ein Gespräch geführt, das mein Mindset komplett ins Positive verändert hatte. Ich weiß nicht, warum es gerade diese Situation war, aber ich bekomme selbst beim Schreiben noch Gänsehaut. Ich ließ Georg ziehen und stoppte kurz bei meinen Betreuern. Meine Laune war plötzlich großartig und ich hatte meine Freude wieder. Ich wusste, dass das Rennen sportlich für mich gelaufen war, aber ich wollte durchkommen.
So quälte ich mich über den nächsten Anstieg und schließlich auch noch mit einer springenden Schaltung über den Sölkpass. Ich verlor noch einige weitere Plätze und erreichte die Sölksperre mit einer Radzeit von 7 Stunden und 25 Minuten. Mehr als 30 Minuten langsamer als vor zwei Jahren. Ich nahm es in der Wechselzone mit Humor, ich war auf Platz 12 oder 13 zurück gefallen, aber ich wollte natürlich das Ziel sehen. Mein Team und vor allem meine Begleiterin Karin hatten so viel auf sich genommen, um mir an diesem Tag zu helfen, das war ich ihnen schuldig.
Zu Beginn war der Lauf unglaublich schwer für mich. Ich musste mehrmals stoppen, aber Philipp, der mich auf den ersten 2 Kilometern begleitet hatte, fand wie immer die richtigen Worte, um mich zu motivieren. Unbewusst war hier eine gewisse Angst verankert, weil exakt dort vor zwei Jahren meine Magenprobleme und Bauchkrämpfe begannen, die mir einen dort noch möglichen Sieg oder zumindest das Podium gekostet hatten.
Doch in diesem Jahr lief alles rund – zumindest magentechnisch. Hier muss ich ein riesiges Dankeschön an meinen Partner Allergosan und OMNi BiOTiC aussprechen. Einerseits haben wir mit der gezielten Arbeit mit Analysen des Mikrobioms und der Verwendung von auf mich abgestimmten Darmbakterien bereits im Vorfeld viel richtig gemacht. Ein Problem, das mich bis zum Schluss beunruhigte, war jedoch die Versorgung während des Rennens. Auch wenn wir mit einem 5-Stündigen Glukose-Test unter Belastung die optimale Kohlenhydrat-Strategie schon heraus gefunden haben, war immer noch die Unsicherheit mit der Verträglichkeit da. Ich habe im Training und in der Vorbereitung vor allem auf Wachsmaisstärke (Vitargo) vertraut, die den Blutzuckerspiegel sehr konstant oben hält, hatte aber das Problem, dass sich das Pulver nicht gut löste und es ein Glücksspiel war, wie viel davon im Magen landete und wie viele in meiner magentafarbenen Radflasche kleben blieb. Als ich erfuhr, dass OMNi BiOTiC eine Woche vor meinem Bewerb beim Apfelland-Triathlon bereits die erste Version des bald erscheinenden neuen Sportgetränks Carbo Tonic dabei hatte, sicherte ich mir nach dem Rennen noch genug von dem wertvollen Pulver. Es war mir bewusst, dass es ein Risiko ist, neue Getränke ohne ausreichende Selbsttests zu probieren, doch mein Vertrauen war groß. Als Simone mir die Zusammensetzung kurz erläuterte, war ich sicher, ich würde es einfach probieren. Neben dem angenehmen Pink-Grapefruit-Geschmack war es vor allem die Löslichkeit, die das Hauptargument war, es auch ohne Belastungstest zu verwenden. Dieses Risiko hat sich bezahlt gemacht – es war meine erste Langdistanz seit langer Zeit, in der ich nicht das geringste Magenzwicken hatte.
Und so ging es ohne Magenprobleme auf die erste Hälfte der Laufstrecke. Mit Ausnahme einer langen und steilen Wiese ist die Strecke hier tendenziell flach bzw. bergab. Auch wenn mir die Hitze wirklich zu schaffen machte, konnte ich eine halbwegs vernünftige Pace laufen und kam ohne große Probleme voran. In Anbetracht der Situation und dass ich vor allem das Finish im Kopf hatte konnte ich mich aber nicht mehr bis auf das Letzte quälen.
Ich konnte auf der Laufstrecke noch ein paar Plätze gut machen und erfuhr, dass Michi Strasser aus dem Rennen ausscheiden musste. Meine Verwunderung darüber hielt sich in Grenzen. Mir war es letztlich nicht mehr wichtig, ich hätte ihm den Sieg sportlich gegönnt, wenn er am Ende der Schnellste gewesen wäre. Genau so wie ich mich für Horst Langmaier freue und ihm gratuliere, dass er an diesem Tag der Stärkste war. Wie heißt es so schön: to finish first, you have to finish first!
Und eben dieses Finish ist es, was mich so glücklich macht. Die letzten 17 Kilometer mit meiner Begleiterin Karin waren für mich das Highlight des Tages – einfach positiv und schön. Auch, wenn wir nicht ganz so schnell waren wie vor zwei Jahren, so war es in diesem Jahr einfach unbeschreiblich. Anstatt des „finale furioso“ von der Südwandhütte zum Ziel vor zwei Jahren sind wir gemütlich die letzten 1,4 Kilometer herunter spaziert, bevor wir uns nach 14 Stunden und 30 Minuten Arm in Arm als Finisher des härtesten Triathlon der Welt feiern lassen konnten.
Die Umarmungen von Karin, Philipp, meinem Vater und der Familie Schwarz sowie Katis Sprachnachrichten aus der Ferne haben mir mehr bedeutet als das möglich gewesene Podium dieses Rennens.
Denn erst, wenn man am nächsten Tag mit dem Auto nach Hause fährt, weiß man, wie verdammt lange und wie verdammt hart dieses Rennen ist und wird demütig. Die Demut, es nicht als selbstverständlich zu sehen, so ein Rennen bestreiten zu dürfen und es auch zu schaffen, hat mir im Vorfeld wohl etwas gefehlt.
Ich bin froh, dass dieses Projekt nun abgeschlossen ist und freue mich auf neue Herausforderungen. Welche dies sein werden, entscheiden mein Körper, mein Kopf und meine zeitlichen Möglichkeiten. Jetzt ist erst einmal ein paar Tage körperliche Ruhe angesagt, bevor ich mich neuen Aufgaben im Sport und im Leben stelle.