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Interview mit Andi Walser über Aerodynamik beim Radfahren

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1dHallo Andi, vielen Dank, dass du uns für ein Interview zur Verfügung stehst. Die Diskussion über die Aerodynamik speziell von Triathlon- und Zeitfahrrahmen hat in den letzten Jahren durch die Entwicklungen speziell rund um den Werkstoff Carbon und die damit verbundenen Möglichkeiten stark zugenommen.

Ueber Material zu diskutieren ist ja auch interessant. Technische Entwicklung und die Moeglichkeiten die Carbon bietet, befeuern die Diskussionen natuerlich noch. Aber was man da von Amateuren manchmal an Rechtfertigungsversuchen fuer das allerneuste Material zu hoeren kriegt, das mutet manchmal schon sehr akademisch an. Man koennt ja auch mal zugeben, dass man etwas nicht wirklich braucht, aber es sich trotzdem leistet, einfach weil mans cool findet. Aber ernsthaft ueber Zehntelssekunden zu diskutieren, waehrend an anderer Stelle die Minuten verloren gehen, das hat schon was.

Wenn man einen aktuellen Zeitfahrrahmen (in Diamantform) nimmt, was sind daran die wichtigsten Details, die zur Aerodynamik beitragen, oder anders gesagt, welche Bereiche eines Rahmens haben den meisten Anteil an dessen Aerodynamik? Wie stehst du Grundsätzlich zu diesen Entwicklungen, welche davon sind sinnvoll und welche eher mit Vorsicht zu genießen?

Es gibt keinen isolierten, wichtigsten Rahmenteil. Das sind bei durchdachten Modellen alles aufeinander abgestimmte Details die nur im Verbund einen aerodynamischen Vorteil bringen. Ein bisschen von dem und ein bisschen von jenem, das funktioniert eben nicht. Die Rahmen der Spitzenhersteller unterscheiden sich in Sachen Aerodynamik aber im Korsett der momentan gueltigen Reglemente nur noch marginal voneinander. Das Limit darin ist ja irgendwann erreicht und aerodynamische Verbesserungen lassen sich dann kaum noch finden, auch wenn da manche Marketingabteilungen natuerlich ganz anderer Meinung sind.

 Einige Hersteller sind vor kurzem von der bekannten Tropfenform als Grundsatz abgegangen und sind in die Richtung von Kamm-Profilen gegangen. Wie denkst du darüber, wo ist deren Einsatz sinnvoll, wo nicht? Was sind vll. die Unterschiede zwischen diesen beiden Formen/die Vor- und Nachteile?

Das ist eine Aenderung die den Reglementen geschuldet ist. Die UCI schreibt seit einiger Zeit vor wie die Radien der Rahmenrohre auszusehen haben. Solch „scharfe“ Kanten wie ich sie bei meinem 1995er Modell hatte, sind heute nicht mehr erlaubt. Die Unterschiede zwischen regelkonformer „Tropfenform“ oder Kammprofil sind also heute zwangslaeufig nicht mehr sonderlich gross. Und fuer welche Variante man sich entscheidet, eine schlaue Erklaerung fuer dieses oder jenes Detail laesst sich immer zusammenzimmern. Kann ja keiner ueberpruefen. Aber da das komplette Fahrrad alleine mit allem Schnickschnack bei einer einigermassen zeitgemaessen Auswahl von heute einen Anteil von weniger als 20% des Gesamtsystems Athlet/Rad ausmacht, wo bitte sollen sich denn da im Fahrbetrieb vom Rahmen alleine aerodynamisch spuerbare Unterschiede einstellen?

In letzter Zeit sind vermehrt Helme auf den Markt gekommen, die weniger die Tropfenform betonen. (siehe Giro Air Attack oder Casco Speed Airo). Kann man dadurch trotzdem oder gerade deswegen Zeit sparen? Wie stehst du zu diesem Trend?

Ein Aerohelm mit langer Nase ist bei entsprechender Kopfhaltung nach wie vor die beste Variante. Allerdings reicht einmal nach unten schauen auch schon aus, um daraus eine ganz schlechte zu machen. Wer also nicht wie Boardman oder Rich einen Wettkampf in perfekter Haltung durchfahren kann, der ist meist mit den kuerzeren Modellen besser bedient.

Auch am Bekleidungssektor tut sich bezüglich der Aerodynamik etwas. Hersteller bringen spezielle Einteiler, die die Aerodynamik in den Vordergrund stellen auf den Markt (siehe Bioracer oder Skinfit). Wieviel bringt sich der Einsatz eines solchen Einteilers? Gibt es Materialien, die windschlüpflriger sind als andere?

Keine Ahnung. Ich bin Rahmenbauer und nicht Schneider. Wenn ich Sitzpositionsstests mache, dann kommt der Athlet ja mit seinem Zeitfahrdress daher und Vergleiche von Anzuegen untereinander hab ich noch nie gemacht. Wenns jetzt aber natuerlich einen Hersteller gaebe, der behauptet, mit seinem Stoff wird der Rahmen besser, dann wuerd ich das natuerlich irgendwann ueberpruefen.

Specialized hat gerade einen hauseigenen Windkanal eröffnet, auf den sogar die Konkurrenten zugreifen möchten. Mit welchen Verfahren erzielt man deiner Meinung nach die besten Testergebnisse in sachen Aerodynamik?

Windkanäle sind ein gutes Tool um einiges zu messen. Aber vorallem kann ich darin so lange an meinem Testaufbau herumschrauben, bis die Ergebnisse wie gewuenscht passen. Darum sind solche Tests mit ungleichen Kombinationen in verschiedenen Kanaelen ja auch untereinander nicht vergleichbar. Und selbst wenn alle Konstrukteure im selben Kanal dasselbe testen wuerden, Mit der Realitaet hat das am Ende noch immer wenig zu tun, denn ein Athlet bewegt sich im Freien berghoch und runter immer anders und nie so regelmaessig und positionshaltend wie er es auf der Rolle im Tunnel tut.

Aber um ein paar Anhaltspunkte zu sammeln ist das schon ganz praktisch. Am Ende finden Rennen jedoch selten in Windkanaelen statt und die Athleten unterscheiden sich untereinander. Und wie soll jetzt der interessierte Amateur rausfinden, ob er jetzt genau dem Testaufbau entspricht, der ihm die meist „zufaellig an die Oeffentlickeit geratenen“ Vorteile einbringt?

Bei der Entwicklung eines neuen Rades setz ich darum nach der Kanal-Grundlagenforschung noch immer auf Tests auf freier Wildbahn, mit grossen und kleinen Athleten, schmalen und breiten, bis ein Kompromiss gefunden ist, der bei allen passt. Nutzt ja keinem etwas, wenn mein M Rahmen z.B. mit Duennbeindummy bei einem einzelnen Windkanaltest ueberzeugt, aber dann S und L bei kuerzeren oder laengeren Athleten, oder schon M mit kraeftigeren Beinen im Fahrbetrieb durchfaellt. Also rauf aufs Rad und die Unterschiede erfahren, alles andere ist Theorie.

Wie relevant sind Windkanaltests z.B. für Ironman Athleten, wenn Tests bei 50kmh gemacht werden und der schnitt bei einem Rennen bei z.B. 32 kmh liegt?

Nur aufs Material bezogen vermittelt vielleicht die Regel, dass der Luftwiderstand im Quadrat mit der Geschwindigkeit zunimmt eine Ahnung, wie wichtig Aerodynamik in manchen Bereichen noch ist. Wenn z.B. eine Scheibe im Vergleich zu einem Speichenrad bei 50 km/h einen Vorteil von 20 Watt bringen würde, dann blieben davon im günstigsten Fall bei 32 km/h theoretisch und ohne Seitenwind noch ¼ uebrig, wovon dann noch der Gewichtsnachteil abgezogen werden müsste, der bei 50 km/h bereits vernachlässigbar ist.

Kannst du uns etwas über die beste Laufradkombination sagen?

Beliebte Frage, und so schoen allgemein. Mag ja sein, dass der eine oder andere Experte oder Prospekt darauf eine Antwort hat, aber ich hab sie nicht. Wuesst ich fuer wen, Rad, Strecke, Tempo und Wetterbedingungen, dann koennt ich das vielleicht mit Erfahrungswerten ein bisschen eingrenzen, aber schlussendlich komme auch ich nicht drumrum alle Moeglichkeiten und Kombinationen unter den im Wettkampf herrschenden Umstaenden gegeneinader zu testen. Alles andere waeren Aussagen ohne Wert.

Nur so als Beispiel: Fuer die olympischen „rauf und wieder runter“ Zeitfahren und Strassenrennen in Peking, hab ich fuer eine einzige Athletin zwei Tage investiert um auszutesten, mit welcher Laufradkombination sie bei den zu erwartenden Geschwindigkeiten und Rennverlaeufe aufwaerts mehr gewinnt als sie bergab wieder verliert. Hat dann fuer die entsprechende Fahrerin genau gepasst. Und jetzt viel Spass beim Nachmachen.

Du lebst relativ zurückgezogen, man sieht dich relativ selten in den Medien und du berätst einige Top Radfahrer (was ich weiß). Auf welche Bereiche konzentriert sich deine Arbeit derzeit, in welche Richtung möchtest du gehen?

Ich bin vor bald 20 Jahren ausgezogen um Raeder zu bauen und war zusammen mit den Athleten mit denen ich gearbeitet habe ja auch recht erfolgreich. Aber die ganzen Medaillen und Titel hab ich immer als Teamarbeit verstanden und es gab darum fuer mich nie einen Grund mich in den Medien in den Vordergrund zu spielen. Den Weg mit Athleten zu erarbeiten ist fuer mich nach wie vor die Herausforderung, und all das was nach dem Zieleinlauf bei anderen ansteht, das interessiert mich bis heute nicht, meine Arbeit ist dann ja laengst getan. Und danach WM-Streifen auf Fahrraeder zu kleben find ich jetzt auch nicht so spannend. Denn selbst wenns Spass macht, so weltbewegend ist ein bisschen sportlicher Erfolg ja nun am Ende dann doch wieder nicht, dass man sowas unbedingt moeglichst breittreten muesste.

Was wird sich deiner Meinung nach in Zukunft auf dem Rad/Zeitfahrsektor noch tun und was planst du ganz persönlich für deine Zukunft?

In den letzten Jahren ist nun aber der Aufwand ein Rad zu den Rennen zugelassen zu kriegen wegen den neuen UCI und EN Normen immer komplizierter geworden. Eine Idee ruckzuck auf die Strasse zu bringen, das geht nicht mehr. Das macht es mir zunehmend unmoeglich so weiterzuarbeiten wie ich angefangen habe. Darum bin ich heute froh, funktioniert die Zusammenarbeit mit Focus so gut und ich kann da mein ganzes erarbeitetes Wissen in die Fahrraeder einbringen, ohne mich dabei auch noch um den ganzen laestigen Administrativkram kuemmern zu muessen. Diese Verbindung laesst mir auch Zeit, all die anderen Ideen ausserhalb des Sportes noch in Angriff zu nehmen, die ich in der mir verbleibenden Zeit auch noch verwirklichen moechte. Das Leben besteht ja nicht nur aus Fahrraedern.

Das neue Zeitfahr- und Triathlonrad aus der Verbindung von Dir und Focus wurde ja letzte Woche vorgestellt. Was gibt es dazu zu sagen?

Das war eine grosse Herausforderung, hat aber unglaublich Spass gemacht. Fuer mich war neu, ein Rad zu entwickeln welches dem Anforderungsprofil fuer groessere Maerkte entsprechen muss. Einfach den Ueberflieger zu konstruieren, ohne Ruecksicht auf Kosten, mit allen trendigen Gimmicks, das waer ja so schwierig nicht gewesen. Wenn ich bisher eine Idee hatte, dann hab ich die einfach gebaut, ohne lange darueber nachzudenken, ob das dann auch in Serie noch machbar ist. Da sind also 2 Welten aufeinandergeprallt. Ein unbeteiligter Zuschauer haette sich wahrscheinlich totgelacht, wenn er die ganzen Diskussionen um Details zwischen den Focus-Ingenieuren und mir mitgekriegt haette, die dann in der Regel noch zwischen 2 Windkanalmessungen quer ueber Pizzaschachteln gefuehrt wurden. Aber am Ende steht jetzt ein Ergebnis da, welches trotz den neuen Regelzwaengen aerodynamisch wieder Massstaebe setzt, das sich aber auch ein Normalsterblicher noch leisten kann. Und das war das Ziel und darum haben wir auf aufwaendige Details die wenig bis nichts bringen verzichtet. Sonst verkommt ein Sport fuer Jedermann ja irgendwann zum Trendschaulaufen fuer Gutbetuchte. Das kanns ja nicht sein.

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Zum Schluss ein kleiner Ausblick – wie sehr siehst du die derzeitige Entwicklung am Rahmen/Radsektor in Zusammenhang mit dem Werkstoff Carbon bereits ausgereizt? Gibt es möglicherweise andere Werkstoffe, die in der Zukunft relevant sein werden? Was kommt in den nächsten Jahren deiner Meinung nach auf uns zu?

Aerodynamisch sind die Moeglichkeiten heute wie gesagt schon weitgehend ausgereizt. Da geht innerhalb der Regeln laengst nicht mehr viel. Selbst wenn man den Rahmen ganz weglassen koennte, die Verbesserungen waeren nicht mehr dramatisch. Viel besser ist in den letzten Jahren auch nichts mehr geworden, nur in der Handhabung wesentlich komplizierter. Waers nicht so, dann haette Olga Zabelinskaya bei den Spielen in London ja nicht mit meiner zwar upgedateten, aber im Grunde doch 7 jaehrigen Konstruktion eine Medaille im Zeitfahren gewinnen duerfen.

Was betreffend Carbon noch geht, das wird die Zukunft zeigen. Ein bisschen leichter wird’s noch werden und ein bisschen guenstiger vielleicht, aber DIE Revolution ist nicht mehr zu erwarten. Beim „Spionieren“ in anderen Branchen, hab ich zwar auch schon ein paar Neuentwicklungen entdecken koennen, die ganz interessant erscheinen. Aber ob sich ganz neue Werkstoffkombinationen dann auch im Fahrradbereich etablieren, das ist im Moment noch schwer abzuschätzen. Immerhin gabs Carbon ja auch schon 20 Jahre, bevor die ersten ernstzunehmenden Serienprodukte im Fahrradbereich auf den Markt kamen. Wird aber interessant das zu beobachten.

Andi, vielen herzlichen Dank für diesen tiefen Einblick, den du uns da gegeben hast und alles Gute!

Das Interview führte Markus Unterweger

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